Anke Knorpp

Der Widerruf im Verbrauchervertrag

Eine junge Familie mit Kindern verwirklicht sich im Jahr 2021 ihren Wunsch von einem Zuhause in den eigenen vier Wänden. Sie erwerben ein Grundstück und beauftragen verschiedene Baufirmen mit der Erstellung ihres Wunschhauses. Unter anderem beauftragen sie den Rohbauer mit dem Aushub der Baugrube und der Herstellung des Rohbaues. Während der Arbeiten kommt es zwischen Rohbauer und Bauherren zu Differenzen. Der Rohbauer verlangt Abschlagszahlungen nach Baufortschritt, die Bauherren sind der Auffassung, ihm stünden keine Abschlagszahlungen zu, da im Vertrag keine Abschlagszahlungen vereinbart wurden. Es eskaliert, und die Bauherren widerrufen den Vertrag mit dem Rohbauer. Der Rohbau steht mittlerweile bis auf einige wenige Restarbeiten. Der Bauherr verlangt die Rückzahlung der bereits erbrachten Abschlagszahlungen vom Rohbauer. Das Ganze spielte sich in einem Zeitraum von rund 6 Monaten nach Beauftragung ab.

Seit 1.Januar 2018 ist das Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) erstmals ausdrücklich gesetzlich geregelt. Bis 31.Dezember 2017 wurden Bauverträge nach denselben gesetzlichen Vorschriften wie beispielsweise die Verträge mit einem Schuster geregelt. Das ab dem 1.Januar 2018 geltende Bauvertragsrecht im BGB erfolgte im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/83/EU.

Insbesondere wurde in den §§650i – 650n BGB der Verbraucherbauvertrag geregelt.

Ein Verbraucherbauvertrag ist ein Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon, §650i Abs.1 Satz 1 BGB.

Ein Verbraucherbauvertrag kann grundsätzlich ohne Angabe von Gründen im Zeitraum von 12 Monaten und 14 Tagen widerrufen werden, wenn der Bauunternehmer den Verbraucher bei Vertragsschluß nicht auf sein Widerrufsrecht hingewiesen hatte.

Wird ein Vertrag widerrufen heißt das: Ware zurück, Geld zurück.

Wie soll dies bei einem Bauvertrag wie oben geschildert gehen, wenn die Baugrube ausgehoben wurde und der Rohbau bereits steht? Soll der Rohbauer – Ware zurück – den Rohbau abreißen, Betonplatte und Fundamente rückbauen und die Baugrube wieder mit der – in aller Regel bereits abtransportierten und verteilten – Erde auffüllen?

Der gesunde Menschenverstand sagt einem: Das kann ja wohl nicht sein.

Der Gesetzgeber hat dies genau so gesehen und bestimmt für den Fall des Widerrufs des Verbraucherbauvertrags in §357d BGB, daß die bereits erbrachte Leistung – in unserem Fall also der Baugrubenaushub und Rohbauherstellung – stehen bleibt – „die Rückgewähr der Leistung ist ihrer Natur nach ausgeschlossen“ – und der Rohbauer Wertersatz vom Bauherren verlangen kann. Die Höhe des Wertersatzes richtet sich nach der vereinbarten Vergütung zwischen dem Rohbauer und dem Bauherrn.

Nach dem Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Vorschriften zum 1.Januar 2018 haben erstmals das OLG Hamm, Urteil vom 24.April 2021 – 24 U 198/20 – sowie das LG München I, Urteil vom 28.Oktober 2021 – 5 O 2441/21 – über einen solchen Fall entschieden. Die beiden Gerichte führen in ihren Entscheidungen aus, daß die Vorschriften über den Verbraucherbauvertrag auch dann anzuwenden sind, wenn der Bau nicht aus einer Hand kommt, also zum Beispiel von einem Generalunternehmer hergestellt wird, sondern auch dann, wenn der Bauherr das Haus herstellt, indem er die einzelnen Gewerke separat beauftragt. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des §650i Abs.1 BGB die in der Richtlinie 2011/83/EU nicht erfaßten Bauverträge ergänzend regeln, um eine ansonsten bestehende Schutzlücke für größere Verbraucherbauverträge zu schließen (BT- drs.18/8486, 24 (61)). Allerdings, so das LG München I, muß bei einer gewerkeweisen Vergabe die Erheblichkeitsschwelle des §650i BGB überschritten werden. Die Erheblichkeitsschwelle ist bei der Errichtung des Baugrubenaushubs gegeben, denn der Baugrubenaushub stellt die Grundlage für die Neuerrichtung des Gebäudes und alle weiteren Bautätigkeiten dar. Ohne ausgehobene Baugrube kann kein neues Gebäude hergestellt werden.

Das OLG Hamm hält eine Differenzierung zwischen einem Bau „aus einer Hand“ und einem Bau im Wege der gewerkeweisen Vergabe nach dem Schutzzweck der Norm als nicht angemessen. Die Richtlinie 2011/83/EU stehe dem nicht entgegen.

Für den Rohbauer heißt das: Der Rohbau bleibt stehen, und der Verbraucherbauherr schuldet dem Rohbauer Wertersatz auf der Grundlage der vereinbarten Vergütung.